Geschichte der Alheyd Pustekoke

Stefan_68: https://www.flickr.com/photos/81092401@N04/8128115148

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Im Jahre 1460 erschloß dann völlig unerwartet ein recht merkwürdiger Umstand den bedrängten Blombergern eine Quelle neuen Wohlstandes:

Eine Frau im heutigen Seligen Winkel, Alheyd Pustekoke, stahl aus der Martinikirche die geweihten Hostien, um damit das Unglück und Leid, von dem sie ständig begleitet wurde, aus ihrem Hause zu bannen. Als sie sich dann verfolgt wußte, warf sie eines Abends die Hostien in einen Brunnen in der Nähe, aber “ob sie gleich viel rührens auff dem Wasser machete, so wollten sie doch nicht untergehen”.

Dabei wurde sie ertappt und wegen Sakramentsschändung zum Feuertode verurteilt. Während sie sich noch in Haft befand – so fügt die Sage hinzu – erhob sich über Blomberg ein furchtbares Unwetter, ein Krachen und Bersten und ein “erschröcklich Gekreisch und Geschrei in der Luft, dergleichen noch niemand gehöret”. Man deutete es sich als den Zorn des Himmels über diese ruchlose Übeltäterin und fühlte sich gezwungen, das Urteil sofort und zwar noch am Tage vor Pfingsten zu vollstrecken; von Stund an wurde es wieder ganz still. – Das Wasser des Brunnens, der nun den “Heiligen Leib des Herrn” barg, wurde sofort für wundertätig erklärt. Es heilte, wie man sagte, Wunden, allerlei Krankheiten und Gebrechen.

Welcher Wunder das Wasser des Brunnens sonst noch fähig war, das mögen uns die launigen Verse aus einem alten Blomberger Gedicht des ehemaligen Pastors Brokhausen erzählen:

Und sieh, am andern Abend, was schwatzt die Weiberschar am Brunnen da? Was mehrte ihr Kreis sich immerdar? “Versucht es selbst”, ruft eine, “die Wahrbeit sag’ ich euch, das Wasser kocht die Linsen in einer Stunde weich. “Ja”, unterbrach die and’re, “zwei Tropfen sind genug, schneeweiß darin zu waschen, nie seif’ ich mehr mein Tuch.” “Mein Kind litt an den Flechten”, hört man die dritte schrei’n “es wusch sich diesen Morgen, heut’ abend war es rein.” “Es ist ein Wunderbrunnen!” rief nun der ganze Chor und jede drängte näher sich an die Brüstung vor, begierig, draus zu schöpfen, und also im Gewühl geschah’s, daß in den Brunnen der Ält’sten eine fiel. Nach langem Schrei’n und Rennen besann man sich zuletzt und zog heraus die Alte. – Die Alte? – Nein! Entsetzt sah’n es die jungen Frauen: Ein Mädchen, jung und schön, stieg aus dem Wasserbade, wie selten eins zu seh’n. So gab es denn von neuem ein Drängen und ein Schrei’n, und alle miteinander – sah’n in die Tief’ hinein. Doch keine – sprang hinunter. Dann liefen sie nach Haus und brachten, was geschehen, im ganzen Ländchen aus.

Durch geschickte Reklame wurde Blomberg zu einem deutschen Lourdes; von nah und fern strömten Tausende von Kranken und Gebrechlichen herbei, die Heilung suchten und angeblich auch fanden. Bernhard VII. ließ 1462 über dem Brunnen eine Kapelle errichten und begann 1468 mit dem Bau einer großen gotischen Hallenkirche, die 1474 geweiht wurde. –

Man wußte sich die Unterstützung durch die Kirche bis in ihre obersten Spitzen zu sichern. Fünfzehn römische Kardinäle schrieben gemeinsam einen hunderttägigen Ablaß aus für alle Förderer des Baues (kostbare Originalurkunde im Landesarchiv), Papst Sixtus IV. (1471 – 1484) im Jahre 1475 einen “vollkommenen für alle Arten Sünden und Verbrechen, auch für die schweren und ungeheuerlichen”.

Das zog: Fremde kamen in großer Zahl, Gesunde und Kranke, um in Blomberg Vergebung der Sünden und Heilung zu finden. Möllenbecker Augustinermönche bauten die Anlage zu einem Kloster “Zum Heiligen Leichnam” aus. Es wurde bereits im Jahre 1535, nach Einführung der Reformation, wieder aufgelöst, im Jahre 1569 endgültig.

Aber der “Wunderglaube” dauerte noch Jahrzehnte an: 1583 befahl Graf Simon VI. seinem Amtmann in Blomberg, ihm ein Faß Wasser aus dem heiligen Borne zu schicken, da “er solches der Schröderschen zu Behuf ihres beschwerlichen Mangels an Armen und Beinen” zugesagt habe.

Heute ist die Klosterkirche das Gotteshaus der evangelisch-reformierten Gemeinde; das Blomberger mathematisch-naturwissenschaftliche Gymnasium führt die Tradition der alten Klosterschule, aus der es vermutlich hervorgegangen ist, weiter. In der Krypta der Kirche befindet sich – für die Öffentlichkeit nicht zugänglich – das von ihrem Erbauer Bernhard VII. gegründete Erbbegräbnis des Lippischen Hauses ; erste Beisetzung 1495 (Bernhards Gemahlin Anna von Schaumburg), letzte 1769.

(Näheres darüber bei E. Thelemann: “Die herrschaftliche Gruft in der Klosterkirche zu Blomberg.” Bd. V der Mittlgn. aus der lippischen Geschichte und Landeskunde).

Im Jahre 1511 starb Bernhard, 82 Jahre alt, und wurde in dem Kloster, dessen “Stifter und größter Mehrer bis an sein Lebensende er war, an der Seite seiner Gemahlin beigesetzt. Das Grabmal der beiden, das bald nach 1511 von einem unbekannten, aber bedeutenden Künstler geschaffen sein muß, stellt noch heute den schönsten und wertvollsten Schmuck der Kirche dar.